Auswertung des ersten Praxisworkshops der Nachwuchsforschungsgruppe CIMT

Als transdisziplinäres Forschungsprojekt möchten wir in regelmäßigen Abständen Vertreter*innen aus der Praxis der kommunalen Bürgerbeteiligung zu Workshops einladen, um mit Ihnen konkrete Fragestellungen im Zusammenhang mit unserer Forschung zu diskutieren. Im Mittelpunkt unseres ersten Praxisworkshops im Sommer 2020 stand die Frage, wie die Auswertung von Beiträgen technisch unterstützt werden kann und welche Anforderungen Praktiker*innen an eine Softwarelösung zur (teil-)automatisierten Unterstützung der Auswertung von Bürger*innenbeteiligung haben.

Bei kommunalen Beteiligungsverfahren geben Bürger*innen Vorschläge und Meinungen zu vorgegebenen Fragen ab. Damit diese in die weitere Planung einfließen können, müssen die Beiträge von den zuständigen Verwaltungen oder entsprechend beauftragten Dienstleister*innen ausgewertet werden. Gerade bei Partizipationsverfahren mit hoher Beteiligung kann die Auswertung ein hohes Maß an Ressourcen binden.

Im Ergebnis wird deutlich, dass es einen tatsächlichen Bedarf nach IT-Unterstützung bei der Auswertung gibt, da diese bislang in der Regel noch vorwiegend händisch erfolgt und entsprechend zeitaufwendig ist. Zu diesen Anforderungen gehört vor allem die Möglichkeit, Beiträge thematisch nach inhaltlichen Aspekten zu gruppieren. Weiterhin besteht Bedarf zur Unterstützung bei der Erkennung von Duplikaten und der Identifikation und Bewertung von konkreten Maßnahmen aus den Beiträgen. Dabei lauten zwei wesentliche Anforderungen, dass alle Beiträge gleichberechtigt berücksichtigt werden und dass automatisiert getroffene Entscheidungen transparent und nachvollziehbar sind.

Zusätzlich wurde durch den aktuellen Anlass im Rahmen des Praxisworkshops eine Befragung nach dem Einfluss der Covid-19-Pandemie auf die Arbeit mit Bürger*innenbeteiligung durchgeführt. Zusammenfassend zeigt sich eine hohe Verunsicherung, wie Bürger*innenbeteiligung während der Pandemie gut umgesetzt werden kann, sowie eine hohe Diskrepanz zwischen den verschiedenen Beteiligungsformaten. Während die Online-Beteiligung als kontaktloses Medium von der Lage profitieren kann, ist die Vor-Ort-Beteiligung stark betroffen.

Der ausführliche Bericht ist als Working Paper verfügbar.

Mobilisierung(smöglichkeiten) zu lokaler politischer Online-Partizipation

In diesem Beitrag in der Zeitschrift für Politikwissenschaft gehen Bastian Rottinghaus und Tobias Escher der Frage nach, wer sich an digitalen Beteiligungsformaten zu lokaler mobilitätsbezogener Planung (nicht) beteiligt und inwieweit personalisierte Einladung zu einer Mobilisierung einer größeren und diverseren Gruppe von Teilnehmenden beitragen kann.

Zusammenfassung

Die sich immer wieder bestätigenden Erkenntnisse über ungleiche politische Beteiligung haben verschiedene demokratische Innovationen motiviert, darunter auch solche, die die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnologien für politische Online-Beteiligung nutzen. Während die bisherige Forschung nur ein begrenztes Mobilisierungspotenzial digitaler Medien festgestellt hat, fehlt uns noch immer ein gutes Verständnis der Mechanismen, die Bürger*innen dazu bringen, sich für oder gegen eine Online-Beteiligung zu entscheiden. Daher untersuchen wir, wer an den Möglichkeiten zur politischen Online-Beteiligung teilnimmt, was das (Nicht-)Engagement erklärt und wie effektiv personalisierte Einladungen darin sind, die Beteiligung zu erhöhen und zu diversifizieren. Um diese Fragen zu beantworten, haben wir eine vergleichende Studie zu drei fast identischen Verfahren lokaler Online-Beteiligung durchgeführt und uns dabei auf Daten aus Umfragen unter registrierten Nutzer*innen und Stichproben der lokalen Bevölkerung gestützt.

Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Engagement in der Online-Beteiligung tatsächlich signifikant von der Bevölkerung in Richtung ressourcenstarker Personen verzerrt wird, die sich auch in ihrer Bewertung des Beteiligungsprozesses und seiner Ergebnisse unterscheiden. Dies gilt trotz der Tatsache, dass das Wissen über diese Beteiligungsmöglichkeiten in allen sozialen Gruppen gleich verteilt ist. Während die Ablehnung digitaler Beteiligung für einige ein Hindernis darstellt, sind Misstrauen in den Beteiligungsprozess und mangelndes Interesse stärkere Gründe, sich nicht zu beteiligen. Anhand eines randomisiert-kontrollierten Feldexperiments können wir bestätigen, dass personalisierte Einladungen ein wirksames Mobilisierungsinstrument sind, das die Beteiligung um das Vier- bis Siebenfache erhöht und in begrenztem Umfang auch unterrepräsentierte Gruppen zur Teilnahme bewegen kann. Diese Ergebnisse haben eine Reihe wichtiger Implikationen für Forscher und Praktiker, die die Gleichheit in der politischen Beteiligung erhöhen wollen.

Wesentliche Ergebnisse

  • Insgesamt wurden im Jahr 2017 weitgehend identische Online-Partizipationsverfahren in drei Städten in Nordrhein-Westfalen durchgeführt und untersucht. In Bonn, Köln-Ehrenfeld und Moers war die Bevölkerung aufgerufen, auf einer Online-Plattform Vorschläge zu Verbesserungsmöglichkeiten im Radverkehr abzugeben.
  • Zunächst ergeben sich die üblichen Partizipationsmuster mit einer überdurchschnittlich hohen Beteiligung von Männern mit hoher Bildung und mittleren Alters. Ein wesentliches Motiv zur Beteiligung war die Unzufriedenheit mit der Radinfrastruktur.
  • Mangelndes Wissen über den Beteiligungsprozess ist der Hauptgrund, sich nicht zu beteiligen. Dabei zeigt sich, dass alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen über den Prozess informiert waren, sich am Ende aber ressourcenstarke Gruppen deutlich häufiger für die Teilnahme entscheiden. Weiterhin bestehen zum Teil spezifische Vorbehalte gegenüber dem Online-Format, die ein Beteiligungshindernis darstellen.
  • Im Rahmen eines kontrollierten Feldexperiments wurden an eine zufällige Auswahl von Bürger*innen personalisierte Briefe mit einer Einladung zum Partizipationsverfahren verschickt. Es zeigt sich, dass dadurch die Beteiligung um das vier- bis siebenfache erhöht werden konnte.
  • Durch diese Einladung werden auch zusätzliche Gruppen mobilisiert, die ansonsten im Konsultationsverfahren unterrepräsentiert sind. Das betrifft z.B. Frauen und Personen mit geringerer formaler Bildung. Diese weisen zudem etwas andere Einstellungen auf als „die üblichen Verdächtigen“, indem sie etwas weniger kritisch mit der bestehenden Verkehrsinfrastruktur sind, dafür aber den Beteiligungsergebnissen weniger positiv gegenüberstehen .
  • Insgesamt zeigt sich damit, dass persönliche Einladungen ein wichtiges Mittel sind, um eine größere und diverse Gruppe von Bürger*innen zur Beteiligung an Konsultationsverfahren zu mobilisieren, die aber die grundsätzliche Unterrepräsentation von Menschen mit geringeren Ressourcen und politischem Interesse nicht beseitigen kann.

Publikation

Rottinghaus, B., & Escher, T. (2020). Mechanisms for inclusion and exclusion through digital political participation: Evidence from a comparative study of online consultations in three German cities. Zeitschrift für Politikwissenschaft, 30(2), 261–298. https://doi.org/10.1007/s41358-020-00222-7